Quiet Quitting in Freundschaften

Wieso Quiet Quitting in Freundschaften nicht immer Quitting bedeutet, warum Freundschaften frei von Normen sind und das auch bleiben sollten. canny im Gespräch mit Julia Hahmann, Soziologin und Professorin für Soziale Arbeit an der Hochschule RheinMain, Wiesbaden.

Ein altes Telefon symbolisiert die ausbleibenden Anrufe.

© Freepik. Quiet Quitting: Der Kontakt wird seltener, irgendwann bleiben die Anrufe aus.

Nach Jahren enger Freundschaft* rutscht der WhatsApp-Chat immer weiter nach unten, Audios bleiben ungehört. Irgendwann kommt nur noch das alljährliche „Alles Gute zum Geburtstag!“ – bis die Freundschaft schließlich keine mehr ist, oder doch? Quiet Quitting hat als Begriff in den letzten Jahren zunehmend an medialer Beachtung gewonnen – ob im Job, in romantischen Beziehungen oder eben in Freundschaften. Soziologin Prof. Dr. Julia Hahman ist Expertin für Freundschaften und spricht mit canny darüber, warum Quiet Quitting nicht immer eine gescheiterte Freundschaft bedeuten muss und wieso wir gesellschaftliche Normen aus der womöglich flexibelsten aller Beziehungsformen raushalten sollten.

„Freundschaften sind frei“

Es gibt oberflächliche, es gibt tiefgründige Freundschaften. Manche sind intensiv und nah, andere räumlich getrennt und nur, wenn es drauf ankommt, präsent. Freundschaften können also unterschiedlicher kaum sein und das hängt vor allem damit zusammen – wie Hahmann erklärt –, dass wir für Freundschaft wenig bis keine gesellschaftlichen Normen gewohnt sind. Ganz im Gegenteil zu heteronormativ und monogam gerahmten Liebesbeziehungen, die in ihrer Struktur, in ihren Dos und Don’ts, kaum stärker von Regeln geprägt sein könnten. Während wir uns von etlichen Büchern, TikToks und Artikeln beraten lassen können, wie man sich in einer Partner:innenschaft zu verhalten hat, bleiben Freundschaften von dieser Ratgebermanier bislang größtenteils unangetastet. „Freundschaften sind frei“, sagt Hahmann, „da ist viel mehr Spielraum drin und das macht sie so einzigartig“.

Es liegt an der Individualität der befreundeten Personen und an der Dynamik, die sich in einer Dyade, also in einer Zweierfreundschaft entwickelt, ob viel oder wenig kommuniziert, unternommen oder geteilt wird. Das ist zudem erstmal wertfrei, weil wir keinen Maßstab dafür etabliert haben, wie viel Kontakt wir haben müssen, damit wir uns Freund:innen nennen können. Wer legt also fest, wann eine Freundschaft als beendet gilt?

„Quiet Quitting ist typisch für Freundschaften“

Quiet Quitting – was ist das eigentlich? Seinen Ursprung hat der Begriff in der Berufswelt. Er beschreibt die Entscheidung nur noch das Bare Minimum, also das absolut Nötigste im Beruf zu leisten – ohne Überstunden oder extra Anstrengungen, die vertraglich nicht vorgesehen sind. Man arbeitet also nur noch soviel, wie tatsächlich entlohnt wird.

Auch im Kontext von Beziehungen hat sich Quiet Quitting schnell zum Buzzword entwickelt. Gemeint ist hier jedoch eher eine Vermeidungsstrategie von Konflikten. Die Partner:innenschaft läuft zwar weiter, jedoch distanziert. Um der Unbequemlichkeit einer endgültigen Trennungssituation zu entgehen, verbringen die Partner:innen immer mehr Zeit außerhalb der Beziehung, ohne sich dabei tatsächlich zu trennen. Wie aber gestaltet sich Quiet Quitting in Freundschaften?

„Breaking up with a friend is weird“, erklärt eine Content Creatorin auf TikTok, „it kind of just has to slowly fade“. So beschreibt Quiet Quitting nun also auch das leise Enden einer Freundschaft. Ist das Trendwort nur eine faule Ausrede für eine weitere Konfliktvermeidungsstrategie? Hahmann sieht im Quiet Quitting keinen Trend, sondern ein Attribut, welches – vielleicht sogar schon seit jeher – typisch für Freundschaften ist: „Das hängt eher damit zusammen, wie Freundschaften funktionieren und nicht mit einer mangelnden Kommunikationsbereitschaft“. Im Gegensatz zu einer (monogamen) Liebesbeziehung muss eine Freundschaft nicht aktiv durch das „Schlussmachen“ beendet werden, um eine neue einzugehen. Es gibt auch keine Regeln, die besagen, ab wann man die Freundschaft verlassen hat, wenn sie etwa für eine kürzere oder auch längere Zeit ohne Kontakt ruht. „Freundschaften sind ganz anders aufgebaut und Quiet Quitting ist deswegen nicht notwendigerweise Quitting, sondern vielleicht nur ein Pausieren“.

Ein sozialer Freund:innen-Konvoi

Dass Freundschaften mal für eine (lange) Weile brach liegen, ist nicht selten. Um die Flexibilität von Freundschaften innerhalb des Lebens zu visualisieren, beschreibt Hahmann den „sozialen Konvoi“ als eine Metapher aus der Beziehungsforschung: „Man fährt wie ein Schiff den Lebensfluss entlang. Mit der Zeit kommen immer mehr Schiffe dazu, die im Konvoi um einen herum fahren. Manche biegen irgendwo ab, kommen vielleicht an der nächsten Gabelung wieder zurück und manche bleiben die ganze Zeit dabei. Das kann nah am Schiff oder weit entfernt sein“. Das heißt, auch eine Freundschaft aus der Kindheit ist vielleicht noch in unserem Netzwerk vorhanden, auch wenn sie gerade nicht mit intensivem Kontakt gepflegt wird.

Die Gründe für das Auslaufen einer Freundschaft können vielfältig sein. Vielleicht fehlen irgendwann die Gemeinsamkeiten oder die räumliche Distanz hat sich aufgrund eines Umzugs verändert. Oft liegt es daran, dass sich die Lebensumstände einer oder beider Parteien in einer Dyade verändern. Das ist besonders im Lebensabschnitt zwischen 20 und 30 der Fall, wenn die ersten größeren Entscheidungen anstehen. „Der Lebensalltag verändert sich dann stark und darin müssen sich Freundschaften häufig erstmal neu orientieren. Manche Freundschaften überleben das, aber manche eben auch nicht“.

Ist „Schlussmachen“ in Freundschaften also unnötig?

Trotzdem gibt es Situationen, die auch in Freundschaften ein „Schlussmachen“ erfordern können, räumt Hahmann ein. Denn auch innerhalb einer freundschaftlichen Beziehung gibt es individuelle Vorstellungen davon, was die Verbindung verkraften kann – und was nicht. Wenn etwa ein Vertrauensbruch passiert ist, den die andere Person nicht verzeihen will, ist ein Ende der Freundschaft in diesem Fall unausweichlich. Im Gegensatz zu einer romantischen Beziehung gibt es hier allerdings keine oder zumindest wenig äußere Normen, die festlegen, was Freundschaften alles können und aushalten müssen, so Hahmann.

Generell plädiert die Soziologin dafür, Freundschaften von einer solchen Verwertungslogik fernzuhalten. Damit meint sie, „kostennutzenkalkulatorische“ Vorstellungen einer balancierten Freundschaft zu vermeiden. Also der Umstand, dass einer Freundschaft das Todesurteil droht, wenn etwa eine Person über einen gewissen Zeitraum mehr gibt als die andere. „Es ist schlimm genug, dass wir das in anderen Beziehungsformen als gesellschaftliche Norm haben. Lassen wir es doch aus Freundschaften einfach raus und nutzen diesen Spielraum des Pausierens“.

Betrachtet man Freundschaften in diesem Zusammenhang aus einer kapitalismuskritischen Perspektive in Anlehnung an die Soziologin Eva Illouz, bewahrt diese Varianz Freundschaften außerdem davor, aus einer ratgebenden Position heraus bewertet zu werden, so Hahmann. „Erst, wenn etwas festgeschrieben ist, wenn wir eine gesellschaftliche Idee davon haben, was richtig und was falsch ist, lohnt es sich ja, eine Ratgeberlogik anzuwenden. Wenn wir anfangen zu sagen, verhalte dich so oder so in Freundschaften, dann bist du eine erfolgreiche Freundin, machen wir Freundschaften zu einem weiteren Therapiefall“.

Wie wir unsere Freundschaften gestalten, pausieren oder beenden, kann also ganz individuell sein. Und während Quiet Quitting in Liebesbeziehungen als eine bequemere Alternative zur Trennung deklariert wird, bedeutet es in Freundschaften vielleicht nur eine Abkehr auf Zeit.

* Für eine bessere Lesbarkeit verzichten wir bei dem Wort Freundschaft auf die gegenderte Schreibweise. Es sind natürlich sowohl Freund- als auch Freundinnenschaften gemeint.

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