„Ich habe keine gute Ehe geführt“

Nach dem Tod ihres Mannes spricht diese Frau über etwas, worüber die meisten schweigen. Ein eindrucksvoller Weckruf, dass der Kampf um mehr Chancenvielfalt einer der wichtigsten unserer Zeit ist.

Nahaufnahme Ehering, Hände einer alten Frau

©Toni Quell. Die 83-jährige Margarete spricht nach dem Tod ihres Mannes über das, worüber man nicht redet.

In der Küche des stillgelegten Hofs sitzt eine alte Frau, die nicht wegkonnte. Kühe, Hühner, die Schwiegereltern und den Mann gibt es längst nicht mehr. Nur die Bilderrahmen an der Küchenwand erzählen von anderen Zeiten, von Familie, Kindern und einer Ehe. Die Geschichte zwischen den Holzrahmen klingt jedoch ganz anders als die der abgelichteten Margarete, die nun auf ein Stück Eierlikörkuchen schaut und versucht, die Tränen gleich mit runterzuschlucken.

„Das ist das, worüber ich nicht gern spreche – ich bin in keine gute Familie gekommen. Ich kann nicht sagen, was ich hier mitgemacht habe.“

Essenstisch mit zwei Tellern und Kuchen an dem canny Interview geführt wurde

©Toni Quell

Ihren ersten und einzigen Mann lernt sie in der Schule kennen. In ihren frühen Zwanzigern heiratet das verliebte Paar, und Margarete zieht in den landwirtschaftlichen Betrieb ihres Ehemanns ein. An ihrem Hochzeitstag grinsen beide breit in die Kamera. Heute sagt die 83-Jährige: „Ich habe keine gute Ehe geführt.“

So war das halt damals

„Ich wollte so gern Friseurin werden. Bist du nur daheim, hast du kein Geld. Ich hätte selbst arbeiten müssen, aber meine Mutter war dagegen.” In dem knapp 2000-Seelendorf, nicht weit von dem Betrieb der Schwiegerfamilie, liegt ein kleinerer Hof, der Margaretes Mutter gehörte. Hier sollte sie als heranwachsende Frau so früh wie möglich bei der Arbeit unterstützen. Für eine Ausbildung blieb keine Zeit. So war das halt. Aber wie war es wirklich?

Keine andere Wahl

Von all den Dingen, auf die sie heute traurig zurückblickt, bereut Margarete das Leben bei ihrer Schwiegerfamilie am meisten. Nun ist auf dem 1.500 Quadratmeter großen Hof niemand übrig außer ihr. Es ist das Haus, in dem sie ein Leben lang arbeiten, aber kaum eigenes Geld haben wird. Das Haus, in dem sie mit ihrer Trauer allein gelassen wird, nachdem eines ihrer drei Kinder an einer Hirnhautentzündung stirbt. Still war es hier schon immer.

Grüner Rasenmäher in Scheune auf verlassenem Hof

©Toni Quell. Der 1.500 Quadratmeter große Hof ist heute nicht mehr in Betrieb.

„Du kommst dir vor, als wärst du nur zum Arbeiten verheiratet worden. Ich habe es nicht als Schikane empfunden, aber es war einfach nicht richtig. Wenn ich etwas nicht machen wollte, musste ich trotzdem. Ich war gezwungen, zu den Familienfeiern meines Mannes zu gehen. Ich musste und wenn ich es nicht –“ Sie unterbricht sich. „Keine andere Wahl. Nein, ich hatte keine.“

Eine Wahl kostet Geld

Margarete hat aus Liebe geheiratet, doch die Umstände auf dem Hof der Schwiegerfamilie höhlen ihre Ehe über die Jahre aus, bis am Ende nur noch eine leere Hülle bleibt. „Es hat halt jeder seins gemacht.“ Die alte Frau erinnert sich an junge Ideale. Damals war sie überzeugt: Wenn man sich einen Freund ausgesucht hat, dann darf man es nicht kaputt machen. Das bringe auch kein Glück. Heute sagt sie: „Alles Quatsch. Ist nicht wahr. Es ist in Ordnung, sich umzuentscheiden. Ich wäre auch gern fortgegangen, hätte ich es gekonnt. Konnte ich weg? Ich habe nichts gelernt. Wo wollte ich hin mit zwei Kindern? Ohne Geld?“ 

Schweigen bis heute

Was sie früher erlebte, hat sie ihren Kindern bis heute nicht erzählt. Dass sie einsam war, dass sie sich von ihrer Schwiegermutter gehasst fühlte, dass ihr Mann nie hinter ihr stand, musste sie mit sich ausmachen. „Ich war immer allein. Ich hatte zwar die Kinder, aber ich hab nie was gesagt – es sind ja auch Kinder. Das war ein Fehler. Ich war immer der Buhmann und habe das Gefühl, ich bin es heute immer noch.“ Erst später erfährt Margarete von ihrer erwachsenen Tochter, dass sie Geld vom Vater zugesteckt bekam, während Margarete selbst bei den Finanzen keinerlei Mitsprache hatte. „Da kommt man sich so niedrig vor. Der Mann hat das Geld und du musst betteln.“

Ehebett auf dem eine Seite mit Tagesdecke zugedeckt ist, Schlafzimmer der Interviewten

©Toni Quell. Seit 2019 bleibt die linke Hälfte des Ehebetts leer.

Es ist eine tragische Ironie, dass sich Margarete allein fühlte, während sie mit ihrem Schicksal keinesfalls allein war. So privat ihre Geschichte auch klingen mag, so ersetzbar ist die Haustür, hinter der sie sich zutrug. Wenn Frauen in das soziale Umfeld des Mannes ziehen, lassen sie ihr eigenes Netzwerk zurück. Läuft die Ehe gut, stellt das kein Problem dar. Läuft die Ehe schlecht, drängt es die Frauen in Isolation. Oder in Margaretes Worten: „Das Leben ist schön, wenn dir es gut geht. Aber wenn dir es dreckig geht, ist es doppelt so lang.”

Schwesternschaft ist ein hart erkämpftes Gut

Viele Frauen führten aus den gleichen Gründen eine unglückliche Ehe, die nur der Tod scheiden konnte. Während sich die Lebenssituation von Männern durch eine Ehe verbessert, verschlechtert sich die der Frauen, wie eine Studie aus 2016 im Journal of Women’s Health aufklärt.

Die Frauen hatten jedoch kaum Gelegenheit, darüber zu sprechen. „Ich konnte mit niemandem reden, außer meiner Schwester. Das war eine gute Frau. Wenn die abends angerufen hat, habe ich mich sehr gefreut.“
Das, was wir heute als Womanhood oder Schwesternschaft kennen, ist eben nur möglich, wenn wir zusammenkommen können. Wenn wir uns zusammenschließen. „Die Frauen wären ja dumm, wenn sie sich das, was ich erlebt habe, gefallen ließen. Das geht nicht.“

„Meine schönsten Jahre“

Seit 2019 ist Margarete Witwe. Seine letzten drei Lebensjahre kämpfte ihr Mann gegen Leukämie. „Ich wusste, dass er stirbt. Aber es tut einem doch weh. Es ist nicht schön. Es ist auch für mich nicht schön, wenn ich allein bin.“ Gleichzeitig scheint von der damals 78-jährigen, ein Ballast abzufallen. Ihre Hausärztin bemerkt an ihr eine neu gewonnene Entspanntheit. „Wie soll ich sagen? Ich war nicht mehr so gehemmt. Froh, dass mein Mann starb, war ich nicht. Aber es hat alles seinen Vor- und seinen Nachteil. Die zwei Corona-Jahre, das waren meine schönsten Jahre.“ Zu dieser Zeit sieht sie ihre Familie häufiger, genießt die Ruhe. „Ich habe meine Kinder gern, die Enkelinnen liebe ich abgöttisch. Wenn die kommen, drücken sie mich, ich werd auch mal geküsst, das ist wunderschön. Das hat mich früher schon für manches entschädigt.“

Freiheit sind vier Räder und ein Lenkrad

Die Rente ihres Mannes ermöglicht Margarete heute mehr Freiraum. Ab und zu führt sie sich selbst zum Essen aus. Sie möchte sich keine Vorschriften mehr machen lassen. Wenn ihre Kinder für sie einkaufen und die Süßigkeiten auf der Liste wegen Margaretes Diabetes ignorieren, nimmt sie ihr Schicksal selbst in die Hand. „Rutscht mir den Buckel runter“, sagt sie und kauft sich ein Sixer Bier. „Das kann ich gut tragen.“
Das Alter macht auch vor Margaretes Körper nicht Halt; die gewonnene Freiheit ist heute nicht mehr so brauchbar, wie sie es damals gewesen wäre. Wegen ihres Knies kann sie schlecht in Busse einsteigen, eine Darmkrankheit fesselt sie die meiste Zeit an ihr Zuhause.

„Wenn ich’s früher hier nicht aushielt, hab ich mich ins Auto gesetzt und bin fortgefahren. Und das mache ich heut noch.“
Der rote Prinz von damals ist nun ein silberner Mercedes Automatik mit hohem Einstieg. „Hoffentlich kann ich noch ein bisschen Auto fahren. Da kann ich hinfahren, kann machen, was ich will.”

*Der Name der Protagonistin wurde geändert.

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