„Frauenrechte sind Menschenrechte“

An diesem Montag um fünf vor zwölf stellen sich über zwanzig FLINTA*-Personen auf eine Bühne und vor die Kameras: Sie fordern die Entkriminalisierung von Abtreibungen und die Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes. „Hier entscheidet sich, ob Deutschland ein modernes Land ist“, so Annalena Baerbock.

©Toni Quell, Am 21.10.24 um fünf vor zwölf fordern mehr als zwei Dutzend bekannte Gesichter die Legalisierung von Abtreibungen und die Verabschiedung des Gewalthilfegesetzes.

„Gewaltschutz kostet Geld und rettet Leben“, spricht Sylvia Haller vom Deutschen Frauenrat in die Kameras der Pressekonferenz. Christina Clemm, die Strafanwältin und Autorin von Gegen Frauenhass, fordert mehr Beratungsstellen, Frauenhäuser und vor allem Täterarbeit. Eine Vertreterin von Pro Familia fordert dazu auf, jetzt auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen.

Wo Menschen zusammenkommen, entsteht Politik

Nicht zum ersten Mal bringt Kristina Lunz mit dem Centre for Feminist Foreign Policy Feminist:innen zusammen und erschafft einen Raum, der weit über das Internet, das Private oder das engere Umfeld hinaus geht – einen Raum, in dem Politik gemacht wird. Gemeinsam mit Düzen Tekkal, Autorin und Fernsehjournalistin, und dem HÁWAR.help e.V., vielen weiteren helfenden Händen und prominenten Gesichtern wurde eine Pressekonferenz auf die Beine gestellt, die einen Schlussstrich unter frauenfeindlicher Gesetzgebung ziehen soll. Zwei Dutzend Feminist:innen treten in die Öffentlichkeit und fordern die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und die Realisierung des Gewalthilfegesetzes*.

Legale Abtreibungen und mehr Schutz vor Gewalt in Deutschland überfällig

Kristina Lunz stellt fest: Die Mehrheit der Gesellschaft ist für die Entkriminalisierung von Abtreibungen. Paragraf 218 gehört endlich gestrichen. Eine unabhängige Expert:innenkommission stimmt zu: Abtreibungen in der Frühphase der Schwangerschaft sollten legal sein.

Auch das Gewalthilfegesetz liegt auf dem Schreibtisch der Regierung und wartet nur darauf, endlich das Tageslicht zu erblicken. Die entsprechenden Zahlen kennen alle Teilnehmenden der heutigen Veranstaltung in- und auswendig: Jeden Tag versucht ein (Ex-)Partner, eine Frau zu töten und jeden zweiten Tag gelingt es einem. Alle vier Minuten erlebt eine Frau in Deutschland Gewalt durch ihren Partner oder Ex-Partner. Diese Zahlen haben sich in den letzten Jahren drastisch verschlechtert, doch die Regierung stellt sich stumm. Dabei geht es in Sachen Femizid buchstäblich um Leben und Tod.

„Wir haben weder ein Kompetenz- noch ein Erkenntnisproblem. Wir haben ein Umsetzungsproblem“, fasst Haller den argumentativ lückenlosen Vormittag in Berlin-Mitte zusammen. Es gibt viele Menschen, die ganz genau wissen, was zu tun ist. Politische Machtträger müssen aufhören, ihre Arbeit zu blockieren.

Die zeitliche Dimension ist nicht nur für das Verhindern von Gewalt an Frauen und anders marginalisierten Menschen von größter, manchmal lebenswichtiger Bedeutung. Ebenso müssen die Forderungen noch vor dem nächsten Regierungswechsel umgesetzt werden, denn die Aussichten auf stärkere Frauenrechte in Zukunft sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht allzu vielversprechend.

Handlungsfähigkeit durch Zusammenhalt

Die Liste an relevanten Vertreter:innen auf der Bühne ist unvollständig und es scheint, als wären sich dessen alle bewusst: Zentral ist das große Ganze, das hier verhandelt werden muss. „Es geht darum, uns allen gegenseitig Raum zu geben und uns nicht darüber abzuwerten“, so die Mitveranstalterin Düzen Tekkal.

Hannah Arendt hat schon vor Jahren etwas festgehalten, das heute wieder brandaktuell scheint: Macht „entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen“. Genau diese Macht entstand um fünf vor zwölf in einem Raum voller Feminist:innen, Journalist:innen, Aktivist:innen und allen Unterstützenden. Damit sie nicht wieder verschwindet, sollten wir sie gesetzlich festschreiben, und zwar dringend. Denn, wie Außenministerin Baerbock schließt, bevor sie die Bühne verlässt: „Der Grad der Freiheit eines Landes bemisst sich an der Freiheit der Frau.“

*Mit dem Ausdruck FLINTA*-Personen werden die Personengruppen der Frauen, Lesben, Inter, Nicht-Binäre, Agender und Trans*-Personen zusammengefasst.

* Das Gewalthilfegesetz, vorgestellt von Lisa Paus (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend), soll jede von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt betroffene Frau mit ihren Kindern einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung sicherstellen. Hier kann man einen Brandbrief vom Deutschen Frauenrat und UN Women Deutschland e.V. zu diesem Thema unterzeichnen.

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