Das Schweigen der Männer

Wie Unwissenheit, Bequemlichkeit und Verweigerung die Entwicklung revolutionärer Verhütungsmethoden blockieren. Ein Appell an alle Männer, die etwas verändern wollen.

Eine Banane und zwei Pflaumen als Stilleben vor violettem Hintergrund.

© Unsplash/Deon Black

Im Alltag glauben wir Männer, in einer gleichberechtigten Gesellschaft zu leben. Wir verstehen uns als modern, weil wir sowohl beruflich als auch in Partner:innenschaften immer häufiger Rollen einnehmen, die in der Vergangenheit überwiegend Frauen zugesprochen wurden. Es wird für uns zunehmend unwichtiger, die “starke Schulter” hinzuhalten oder als Finanzier bei Dates und innerhalb der eigenen Beziehung aufzutreten. Manche von uns gehen sogar so weit, sich Feministen zu nennen. Dabei ist es falsch, sich als heterosexueller Cis-Mann mit derartigen Entwicklungen zu brüsten – und mehr als unberechtigt. Denn, anders als FLINT*- Personen, verdanken wir unseren Privilegien cis-männlich, heterosexuell (und weiß) zu sein –, dass wir nie für Gleichberechtigung kämpfen mussten und unseren Platz in der Gesellschaft weitestgehend ohne Hindernisse und mit der größten Bequemlichkeit einnehmen können.

Für Männer bleibt’s bequem

Und ja, es verändert sich etwas. Dank derer, die nicht unsere Privilegien teilen, sondern für Gleichberechtigung kämpften und immer noch kämpfen. Wenn es um Gleichberechtigung und sexuelle Selbstbestimmung geht, überlässt unsere Gesellschaft die Verantwortung allerdings immer noch größtenteils der Frau – so auch bei der Schwangerschaftsverhütung. Wir Männer schweigen. Frauen sind diejenigen, die die Pille einnehmen, sich eine Spirale einsetzen lassen oder den Nuvaring alle drei Wochen wechseln. Für uns Männer bleibt’s bequem, oder etwa nicht? Fragt man uns nach Methoden zur Schwangerschaftsverhütung für den Mann, reicht das Wissen meist nicht über das Kondom und die Vasektomie hinaus. Doch wieso ist die Unwissenheit so groß und welche alternativen Verhütungsmethoden könnte es noch geben?

Das scheinbar naheliegende Argument, Schwangerschaftsverhütung sei Aufgabe der Frau, wird oft damit begründet, dass Spermien schwieriger zu bändigen seien als die Eizelle. Unsinn! Denn es gab bereits pharmazeutische Bemühungen, hormonelle Verhütungsmethoden für den Mann zu entwickeln. Der Pharmakonzern Schering war mit der Entwicklung einer Pille für Männer bereits fortgeschritten, als er durch Bayer übernommen wurde. Mit der plumpen Begründung, Männer würden die Pille sowieso nicht einnehmen, wurde die Forschung wieder eingestellt. Auch andere große Pharmakonzerne sowie die WHO haben in der Vergangenheit ihre Forschung zu neuen Verhütungsmethoden für den Mann aufgegeben.

Männliche “Kastrationsangst” beim Thema Verhütung

Eine drastische Rückentwicklung, die mit einem Verständnis von “Männlichkeit” einhergeht, das durch die heteronormative Mehrheitsgesellschaft forciert wird. So fürchten Männer um ihre Potenz, wenn es darum geht, sich mit derartigen Themen auseinanderzusetzen. Infolgedessen wird die Verantwortung an ihre (Sexual-) Partnerinnen abgegeben. Die Furcht der Männer entpuppt sich als “Kastrationsangst”. Sie zeigt, wie sehr die maskuline Identifikation an die männlichen Geschlechtsorgane geknüpft ist. Alternative Verhütungsmethoden betrachten viele Männer als skurril und unbequem.

Infolgedessen bleiben sie bequem und verweigern die Auseinandersetzung mit diesen. So kommen Alternativen wie das Hodenbaden oder die Verhütungsunterhose, durch welche die Hoden in den Leistenbereich gedrückt und so die Samen unfruchtbar gemacht werden sollen, gar nicht erst in Frage. Durch die Verweigerung, uns mit alternativer Schwangerschaftsverhütung auseinanderzusetzen, reduzieren wir uns in dem Wunsch, einem fabulierten Bild von “Männlichkeit” zu entsprechen, letztlich auf unsere Geschlechtsorgane. Wenn sich manche von uns schon um die eigene “Männlichkeit” sorgen, könnte diese doch wenigstens mehr bedeuten, als sich lediglich über seine Geschlechtsorgane zu definieren.

Eine revolutionäre Idee?

Weil die Pharmaindustrie so gut an der Antibabypille verdient und nur sehr wenige bis gar keine hormonfreien Alternativen für Frauen anbietet, entwerfen unabhängige Tüftler:innen neue Verhütungsmethoden. Entgegen des angeblichen Desinteresses an weiteren Verhütungsprodukten arbeitet der gelernte Tischler Clemens Bimek bereits seit 20 Jahren an einem Ventil für die Samenleiter – mit Erfolg. Nach erfolgter Implantation kann Bimeks Ventil per Knopfdruck geöffnet und geschlossen werden. Befindet es sich im geschlossenen Zustand, werden die Samen bei der Ejakulation seitlich abgeleitet und durch den körpereigenen Prozess der Resorption abgebaut. Auf den Samenerguss nimmt das Ventil keinen Einfluss, denn Spermien machen im Ejakulat gerade einmal einen Anteil von fünf Prozent aus.

Per Knopfdruck zu wissen, wann man denn nun ein Kind zeugen kann und wann nicht, klingt nach einer revolutionären Idee. Doch obwohl der Erfinder sein Ventil bereits patentiert hat, ist er der Einzige, der es trägt und erfolgreich anwendet. Selbst wenn sich einige Probanden Bimeks Implantat für Testzwecke einsetzen lassen würden, steht die Finanzierung einer weitreichenden medizinischen Studie noch immer in den Sternen. Auch andernorts wird an alternativen Verhütungsmitteln geforscht. In den USA untersucht man seit Jahrzehnten die Wirkung des sogenannten Vasalgels, welches Samen mittels einer Injektion unfruchtbar und durch eine weitere Spritze wieder fruchtbar machen kann. In Indonesien experimentieren unabhängige Forscher:innen mit dem Wirkstoff der Pflanze Justicia gendarussa.

Frauensache?!

Es gibt sie also, die Schwangerschaftsverhütungsmittel für den Mann. Doch solange wir uns auf unsere Privilegien verlassen, uns nicht genügend für sie einsetzen und uns nicht öffentlich positionieren, bleiben sie außer Reichweite. Weil wir bequem sind und immer noch glauben, Schwangerschaftsverhütung sei (nur) Frauensache. Dabei würde sich durch die bloße Nachfrage nach Alternativen bereits vieles verändern. Es braucht einen Markt für alternative Schwangerschaftsverhütung. Denn Alternativen sind möglich, sie müssen aber aktiv gefordert und verlangt werden. Der gleichberechtigte Umgang mit Verhütungsmethoden würde sich positiv auf das Miteinander zwischen Männern und Frauen auswirken. Denn wenn wir innerhalb der Intimsphäre unseres Sexuallebens gleichberechtigt und selbstbestimmt handeln, besteht die Chance, dass wir dies auch in anderen Bereichen tun werden. Indem wir uns für dieses Thema starkmachen, setzen wir uns aktiv für sexuelle Selbstbestimmung und damit für eine gerechtere Gesellschaft ein. Brechen wir das Schweigen! Erkennen wir unsere Verantwortung, verlassen wir die Komfortzone und machen wir uns für die Entwicklung alternativer Schwangerschaftsverhütung stark. Es ist längst überfällig!

*Mit dem Ausdruck FLINT*-Personen werden die Personengruppen der Frauen, Lesben, Inter, Nicht-Binäre und Trans*-Personen zusammengefasst.

Das in diesem Beitrag dargestellte heteronormative Geschlechterverhältnis bildet lediglich sexuelle und partnerschaftliche Strukturen der Mehrheitsgesellschaft ab. Schwangerschaften und Schwangerschaftsverhütung sind auch für non-binäre, intersexuelle und queere Personen von hoher Bedeutung! Da jedoch überwiegend heteronormative Gegebenheiten dafür sorgen, dass Missstände fortbestehen, stellt dieser Beitrag vornehmlich binäre, heterosexuelle Partnerschaften in den Fokus.

Gastautor Joram Witte

Joram Witte begeistert sich schnell für Kuriositäten und wird bei Ungerechtigkeiten ungeduldig. Traditionelle Rollenbilder und Hypermaskulinität hält er für Hindernisse auf dem Weg zur Selbstakzeptanz. Für canny hat Joram seinen Beitrag mit viel Freude aufgefrischt. Wenn er gerade nicht schreibt, arbeitet er in der Kulturlandschaft Berlins, wo er zuletzt an der Realisierung einer Dauerausstellung mitwirkte.

Foto: © Joram Witte

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