Feministische Rechtsberatung: Diese Frauen packen an

Das Jurastudium, die Rechtsprechung und das Recht selbst spiegeln nicht die Bedürfnisse aller wider, kritisieren junge Frauen aus Köln und gründen einen Verein für kostenlose, queer-feministische Rechtsberatung. Gleiches Recht für alle? Das ist keine gute Lösung, sagen unsere beiden Gäste der Feminist Law Clinic.

Die beiden Zwei Jurastudentinnen der Feminist Law Clinic, einem Verein für feministische Rechtsberatung, schauen selbstbewusst in die Kamera. Philine Kuntz sitzt auf einem Stuhl und Lilith Rein steht hinter ihr.

©Toni Quell. Seit Januar 2025 bieten Ehrenamtliche der Feminist Law Clinic kostenlose Rechtsberatung an. canny trifft Lilith Rein und Philine Kuntz im M*Treff, die Räumlichkeiten, in denen in Köln beraten wird.

„Okay, scheiße, dann müssen wir es halt selbst machen“ sagt Lilith Rein in der WG-Küche zu ihren Mitbewohnerinnen. Die Internetrecherche zu kostenloser feministischer Rechtsberatung in Deutschland erzielt keine Treffer, also machen die Jurastudentinnen aus der Not eine Tugend. Zur Geburtsstunde der Feminist Law Clinic in einer Kölner WG sind Lilith Rein, Karla Steeb und Lilian van Rey zu dritt – nur wenige Monate später haben die Initiatorinnen mit ihrem Team bereits über 400 Jura-Interessierte in feministischer Rechtsberatung ausgebildet. In 24 Ortsgruppen deutschlandweit organisieren sich die Ausgebildeten nach bestandener Prüfung und beraten kostenlos zu Sexualisierter Gewalt, Unterhaltsrecht und Selbstbestimmungsrecht.

Recht ist nach wie vor männlich

„Das geltende Recht ist in der Theorie bestenfalls eine Abbildung der Gesellschaft und eine Abbildung von den Werten, die wir als Gesellschaft haben. Unser Rechtssystem jedoch ist auf alte weiße Männer ausgelegt, nicht auf die Bedürfnisse vieler verschiedener Menschen“, sagt Lilith Rein, die Jura in Köln und Paris studiert.

Jurastudentin und Gründerin der Femnist Law Clinic stützt sich auf Tisch und schaut selbstbewusst in die Kamera, Portrait von Lilith Rein.

©Toni Quell. Lilith Rein hat neben ihrem Jurastudium einen Verein gegründet, der kostenlose feministische Rechtsberatung ermöglicht.

Philine Kuntz ist kurz nach der Gründung der Feminist Law Clinic auf die Arbeit ihrer Kommilitoninnen aufmerksam geworden. Sie zählt zu den ersten Ehrenamtlichen, die sich dem Projekt anschlossen und ergänzt: „Es fängt schon damit an, dass fast alle Gesetzestexte binär und männlich geschrieben sind. Seit 2008 gibt das Bundesjustizamt zwar vor, dass alle neuen Gesetzestexte geschlechtsneutral sein sollen. Das wird aber nicht immer umgesetzt, weil es nach wie vor überwiegend Männer sind, die Recht machen. Wenn immer die Rede vom Kaufmann ist beispielsweise, fällt es schwer, Frauen und nicht-binäre Menschen mitzudenken.“ 

Der Hörsaal sei wenig divers, egal, ob am Studierenden- oder Rednerpult. Rein wird von zwei Frauen unterrichtet, die übrigen Profs sind männlich. Recht erlernen, Recht schreiben und lesen – das ist von Anfang bis Ende ein männliches Unterfangen kritisieren beide.

Die Instagram Seite @ueblenachlese des Juristinnenbunds bildet misslungene Sachverhalte ab, die Jurastudierenden in der Uni vorgelegt werden.

Was nicht gelehrt wird, wird auch nicht erforscht

Dass Frauen, Queers und Menschen mit Migrationsgeschichte im juristischen Bereich unterrepräsentiert sind, führt zu einer unausgeglichenen Interessenvertretung, die in der Lehre ihren Ursprung hat. Rechtsprechung und -entwicklung wird durch Lehre definiert. Professor:innen machen beides parallel: Sie lehren an der Uni und sie forschen, also entwickeln neue Theorien. Diese Forschung ist ein wesentlicher Bestandteil der Rechtsentwicklung, die forschenden Professor:innen werden beispielsweise zu Gerichten eingeladen, um ihre Erkenntnisse zu teilen.

In Deutschland wird das Sexualstrafrecht kaum gelehrt, es gibt keine Vorlesungen, die im Pflichtprogramm stehen. Es gibt auch keine entsprechenden Lehrstühle und es werden seltener Dissertationen zum Thema geschrieben. Das heißt, das Sexualstrafrecht wird kaum weiterentwickelt.

„Am Ende eines Studiums stehen häufig supergut ausgebildete Volljurist:innen, die noch nie etwas vom Sexualstrafrecht gehört haben. Meine Kommiliton:innen und ich können fehlerfrei Auskunft zur Rückgabepflicht von T-Shirts geben, aber wenn wir gefragt werden, wann ein Übergriff als Vergewaltigung gilt, sind wir hilflos“, so Rein.

Feministisches Bild, das Schwesternschaft und Queerness ausdrückt, Frau legt Regenbogen-Armband an mit der Aufschrift Feminist Law Clinic.

©Toni Quell. Im persönlichen Gespräch mit Bekannten merken Kuntz und Rein, dass sie in vielen relevanten Bereichen des Rechts trotz ihres Jurastudiums kein anwendbares Wissen besitzen. Die Feminist Law Clinic soll das ändern.

Jura ist außerdem sehr elitär, finden die beiden Frauen. Man brauche viel Geld, um das lange Studium von etwa zehn Jahren zu überdauern. Die Lehrmaterialien seien teuer, das Lernen zeitintensiv. Neben dem Studium jobben, das mache in ihrem Pariser Bekanntenkreis niemand außer Rein. Auch das trage zu dem wenig diversen Cast in der Juristerei bei. „Ich meine, wer studiert denn Jura? Die meisten machen das wegen des Geldes und für Prestige, denke ich. In der ersten Woche vom Studium hat uns ein Prof gesagt: Ich hoffe, ihr seid nicht hier, um die Welt zu verbessern, das könnt ihr gleich abschreiben“, erinnert sich Rein.
Aber die Frauen der Feminist Law Clinic wissen es besser.

Engagement, das weite Kreise zieht

Das Team der Feminist Law Clinic hat neben dem Studium einen Verein gegründet, Workshops zur Ausbildung organisiert, eine Website und Social Media aufgebaut und einen vielversprechenden Wandel in Gang gesetzt, der kostenlose feministische Rechtsberatung deutschlandweit gewährleisten soll. Im April 2025 steht die zweite Ausbildungsrunde an – mit über 400 Anmeldungen.

Nach einem derartigen Kraftakt ist die Universität zu Köln doch sicher stolz auf ihre Nachwuchstalente, in den Hörsälen wird vermutlich applaudiert und die Ehrenamtlichen gefeiert, oder?
„Nee, niemanden juckt das“, bilanziert Rein. Bisher unterstützt nur eine Professorin der Universität zu Köln den Verein. „Die Leute aus meinem Studium bekommen das schon mit, machen sich aber eher lustig, anstatt sich anzuschließen.“

Auch in Philine Kuntz’ Umfeld, ist die Unterstützung verhalten. „Einige wollten zunächst mitmachen, um ihren Lebenslauf aufzupolieren, aber haben dann gesagt, sie haben etwas anderes gefunden. Für die meisten ist das eine strategische Entscheidung. Die Leute, die sich letztendlich bei uns engagieren, sind Betroffene.“
Die Arbeit des Vereins ist rein spendenfinanziert, die Ehrenamtlichen opfern ihre Freizeit für unbezahlte Arbeit. Kuntz und Rein kennen alle männlichen Rechtsberater der Law Clinic beim Namen – denn es ist nur einer.

Queerfeminismus für mehr Gerechtigkeit

Das Ziel der Feminist Law Clinic ist es, Rechtsberatung einfacher und fairer zu gestalten. Mit ganzheitlicher Unterstützung, die über eine rein rechtliche Auskunft hinausgeht, soll die Law Clinic ein unkompliziertes Erstangebot sein, das in vulnerablen Momenten Sicherheit bietet. Die Ehrenamtlichen unterstützen nicht nur mit ihrem Fachwissen, sondern auch bei der Suche nach Anlaufstellen für Therapie oder Sozialarbeit oder beim Kontakt mit der Polizei. Seit dem Beratungsstartschuss im Januar laufen über 30 aktive Fälle in der Law Clinic. Die Hälfte davon seien Fälle von Vergewaltigung.

Die Berater:innen nehmen nur Fälle an, in denen sie das nötige Fachwissen besitzen, alles andere wird an besser geeignete Ansprechpersonen weitergeleitet. Ausgewählte Volljurist:innen unterstützen die Freiwilligen und ermöglichen Supervisionen.

Der Fokus des Vereins liegt auf den spezifischen Herausforderungen von FLINTA** und queeren Menschen. „Unser selbst erarbeitetes Awareness-Konzept durchzieht unsere Arbeit von Anfang bis Ende. Wir nehmen an Schulungen teil, die uns dabei helfen, noch bessere Konzepte zu schreiben und uns immer weiter zu verbessern. Für das Thema Awareness haben wir eine ganze Arbeitsgruppe, die sich nur damit auseinandersetzt, wie unsere Strukturen möglichst diskriminierungsarm werden können“, so Kuntz. Wie man Awareness in Beratungssituationen umsetzen kann, ist Teil der Ausbildung der Law Clinic. „Das ist unglaublich wichtig, denn als Jurist:in lernt man nur das Recht. Man lernt nie, wie man tatsächlich kontextsensible Beratungen durchführt.”

Feministische Rechtsberaterin hält Postkarte mit "Gewalt ist keine Liebe"

©Toni Quell. Philine Kuntz studiert an der Universität zu Köln und ist der Feminist Law Clinic im September 2024 beigetreten. Sie arbeitet an dem Awareness-Konzept des Vereins.

Gleiches Recht für alle?

Artikel 3 im Grundgesetz sieht vor, dass niemand „wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner R****, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden“ darf. Weiter heißt es: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Der tatsächliche Zugang zu Recht folgt jedoch anderen Gesetzmäßigkeiten.

„Hilfsbedürftige Gruppen müssen mehr geschützt werden“, stellt Lilith Rein fest. „Marginalisierte Menschen sollten nicht das gleiche Recht haben wie ein alter weißer Mann, der privilegiert ist, der Geld hat. Eine alleinerziehende Mutter, die aus dem Ausland kommt, kann mit gleichem Recht überhaupt nichts anfangen. Sie braucht womöglich viel mehr Support. Andere Beispiele: Man spricht kein Deutsch oder hat keine Krankenversicherung – all das sind hohe Hürden im Weg zum Recht. Da hilft keine theoretische Gleichheit.“

Mehr als Rechtsberatung

Philine Kuntz hat eine klare Vorstellung davon, was passieren muss, um Rechtsberatung zukünftig besser zu machen. „Bei den Themen, die wir behandeln, ist es super wichtig, dass auch das Psychosoziale mitgedacht wird. Allem voran auch Therapiemöglichkeiten. In Zukunft braucht es da mehr... Menschlichkeit.“
Das Rechtliche ist auch laut Rein nicht alles, worauf es in der Arbeit der Feminist Law Clinic ankommt. Am Wichtigsten sei nicht, dass der Täter eine gerechte Strafe bekommt. „Das Wichtigste ist, dass es den Betroffenen am Ende gut geht.“

*Die Abkürzung FLINTA* steht für Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen. Das Sternchen dient dabei als Platzhalter für alle Personen, die sich in keinem der Buchstaben wiederfinden, aber dennoch aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität von Marginalisierung betroffen sind. Der Begriff soll darauf aufmerksam machen, dass Diskriminierung, die der Feminismus zu bekämpfen versucht, weit über Frausein hinaus geht.

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Weibliche Erfahrung in der Literatur

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Welche Männlichkeit brauchen wir für eine schöne Zukunft?