Bessere Verhütung für alle

Rita Maglio kämpft zusammen mit Better Birth Control für gleichberechtigte Verhütung. An innovativen Ideen scheitere es nicht, woran dann?

Zwei Männerhände berühren sich fast mit dem Zeigefinger. Eine der beiden Hände hat ein Kondom über dem Finger.

© freepik. 

canny magazine: Rita, zusammen mit Jana Pfenning hast du eine Petition ins Leben gerufen, die über 130.000 mal unterschrieben wurde und einen gemeinnützigen Verein gegründet, der sich für gleichberechtigte Verhütung stark macht. Was ist gleichberechtigte Verhütung?

Better Birth Control: Verhütung, das ist viel mehr als etwas einzunehmen oder sich etwas einsetzen zu lassen. Verhütung ist auch alles darum herum, also die Care-Arbeit, die Zeit, in der man zum Arzt oder zur Ärztin geht, die Zeit, die man dann in der Praxis verbringt. Die Zeit, in der man ein Rezept abholt oder Untersuchungen vornehmen lässt. Und natürlich das Geld, das man dafür ausgibt. All das gehört zur Verhütung und sollte mitbedacht werden, wenn man von Gleichberechtigung spricht. Wir finden, Verhütung geht immer mindestens zwei Menschen etwas an.

canny magazine: Kosten und Aufwand fair aufteilen – das ist in einer Paarbeziehung möglich, wie sieht es aber für Menschen aus, die wechselnde Sexualpartner:innen haben?

Better Birth Conrol: Aus einer gesellschaftlichen Perspektive bedeutet gleichberechtigte Verhütung: Jeder Mensch braucht Zugang zu Verhütungsmitteln, die bezahlbar und verlässlich sind. Das wäre fair, aber im Moment ist das so nicht möglich. Besonders bei queeren Menschen, Transfrauen und Transmännern, ist kaum erforscht, wie es während oder nach einer Transition beispielsweise mit der Fruchtbarkeit aussieht. Wir können nur von Gleichberechtigung sprechen, wenn wir alle den gleichen, funktionierenden Zugang haben.

Zu sehen sind die beiden Better Birth Control Gründerinnen Rita Maglio und Jana Pfenning, die sich gegenseitig anlächeln.

© Better Birth Control. Die beiden Gründerinnen des Vereins Rita Maglio (links) und Jana Pfenning (rechts).

canny magazine: Welche Möglichkeiten der Verhütung gibt es aktuell und wieso sind sie nicht ausreichend?

Better Birth Conrol: Ich würde die verschiedenen Möglichkeiten aufteilen in Verhütungsmittel für Menschen mit Gebärmutter, die ich im Folgenden als Frauen bezeichne, obwohl nicht alle Menschen mit Gebärmutter Frauen sind. Und in Menschen, die Spermien produzieren, die wir der Einfachheit im Folgenden Männer nennen, obwohl nicht alle Menschen mit Penis Männer sind.

Für Frauen gibt es viele Optionen, die jedoch seit ihrer Einführung kaum verbessert wurden. Es gibt die Pille, es gibt die Spirale, es gibt andere hormonelle Methoden wie das Stäbchen. Alle sind in etwa auf dem gleichen Stand wie damals als sie auf den Markt kamen. An der Pille wurden zwar immer wieder vermeintliche Verbesserungen vorgenommen – im Großen und Ganzen ist sie aber das gleiche Produkt wie vor 60 Jahren. Die Gesellschaft und ihre Bedürfnisse verändern sich aber. Es gibt eine gewisse Pillenmüdigkeit, immer weniger Menschen greifen auf diese einst sehr beliebte Verhütungsmethode zurück, weil sie keine Hormone mehr zu sich nehmen möchten. Die Pharmaindustrie reagiert auf diese gesellschaftlichen Veränderungen kaum. Entweder verbessert man die Produkte oder man verbessert die Aufklärung, am besten natürlich beides. Frauen, die ohne Kondom effektiv verhüten möchten, können sich zwischen der Pille und Spiralen entscheiden. Es gibt natürlich auch nicht-hormonelle und nicht-kupferbasierte Methoden wie das Femidom, Portiokappe oder NFP. Allerdings gehen diese auch mit einem hohen Pearl-Index einher. Und die NFP-Methode ist beispielsweise nicht ideal für junge Frauen, da der Zyklus meist noch nicht ganz vorhersehbar ist. Auch das Risiko einer Schwangerschaft wird in diesem Alter ganz anders bewertet. Alle haben Nebenwirkungen, sind mit emotionaler Arbeit verbunden und kostenintensiv. Eine Frau gibt in ihrem Leben etwa 3.600 Euro für Verhütung aus.  

canny magazine: Die treuen Dienste, die die Pille viele Jahre leistete, überschatten ihre umstrittene Vergangenheit. Vor ihrer Zulassung beispielsweise, während man die Pille in den USA noch an Tieren testete, wurde sie risikoreich an finanziell schwachen Frauen in Puerto Rico ausprobiert. Die Pille schreibt nicht nur Erfolgsgeschichten. Wie steht es um die Zeugungsverhütung?

Better Birth Conrol: Männer haben zwei verlässliche Optionen: das Kondom oder die Vasektomie. Wenn man sich für Letzteres entscheidet, sollte man die Kinderplanung abgeschlossen haben, für junge Männer bleibt also eigentlich nur das Kondom übrig. Alles weitere liegt im Verantwortungsbereich der Frau. Und ja, das Kondom ist ein super Verhütungsmittel. Es sollte auch immer benutzt werden, aber es ist langfristig nicht praktikabel und auch in der Anwendung nicht immer sicher. In der Hinsicht besteht dringender Nachholbedarf, damit Männer ihre reproduktiven Rechte und ihre reproduktive Sicherheit wahrnehmen können.

canny magazine: Mangelhafte Verhütungsoptionen sind Ausdruck von Macht und Kontrolle. Durch die Dysbalance der Verhütungsoptionen bleibt die Pseudo-Kausalität zwischen Frauen und dem Bereich der Familie weiter bestehen. Laut einer Studie aus dem Deutschen Ärzteblatt würden 61% der 9.000 befragten Männer gern mehr Verantwortung bei der Verhütung übernehmen.

Better Birth Control: Ob diese Männer dann auch in Zukunft entsprechend Verantwortung übernehmen, kann man natürlich nicht absehen. Aber es wäre wichtig, dass zumindest die Möglichkeit besteht und Frauen entlastet werden, wenn und auf welche Weise sie das wollen. So könnten Männer unabhängig und selbstbestimmt verhüten und Frauen gegebenenfalls davon profitieren. 

canny magazine: Jede fünfte Frau ab 40 Jahren ist im Laufe ihres Lebens mindestens einmal ungewollt schwanger, bringt die Studie frauen leben 3 in Erfahrung. Wir entwickeln Impfstoffe in Rekordzeit, fliegen ins All und wieder zurück – Wieso gelingt es uns nicht, ungewollte Schwangerschaften zu verhindern?

Better Birth Control: Es scheitert meistens am Geld. Verhütung für den Mann ist theoretisch schon lange ein Thema. Wenn man in die Presse schaut, findet man unzählige Artikel mit Schlagzeilen wie: Wann kommt die Pille für den Mann? Diese Artikel gibt es schon seit den frühen 2000ern. Es gab bereits Bestrebungen, eine Pille für den Mann auf den Markt zu bringen. Verschiedene Pharmafirmen haben sich dann aber entschieden, das nicht weiter zu verfolgen. Vor allem, weil es nicht lukrativ genug war.

canny magazine: Wer gehört neben der Pharmaindustrie zu relevanten Akteuren, wenn es um Verhütung geht?

Better Birth Control: Institutionen wie die World Health Organisation (WHO) oder eben auch die Staaten selbst, also auch die Länder sind oder waren mal interessiert an der Pille für den Mann, haben dann aber ihre Bestrebungen schleifen lassen. Innovative Ideen gibt es, aber die nötigen Gelder wurden nicht bereitgestellt. Geld bedeutet immer Unterstützung und diese gab es in den letzten Jahren zu wenig.

canny magazine: Als Folge eurer Lobbyarbeit hat der Haushaltsausschuss in 2023 eine neue Förderrichtlinie zum Thema Verhütungsmittel für alle Geschlechter in Höhe von fünf Millionen Euro beschlossen. Ein großartiger Erfolg – oder?

Better Birth Control: Wir haben es geschafft, dass diese Förderrichtlinie noch durchgedrückt wird und das bei dem engen Haushalt. Lange war das noch am Wanken. Durch verschiedene Mitglieder des Bundestags und Haushaltsausschuss wurde die Förderrichtlinie dann tatsächlich realisiert. Zum Glück. Es ist ein kleines, aber gutes Zeichen, dass nun zumindest das nötige Bewusstsein für unser Thema in der deutschen Politik besteht. Unsere Petition war zwar der Beginn von all dem – die Förderrichtlinie bedeutet aber leider nicht, dass wir in zwei Jahren auf neue Verhütungsmittel für den Mann hoffen können. Sie zeigt jedenfalls, dass Deutschland da nun eben Geld in die Hand nimmt.

canny magazine: Wie kann man sich den Ablauf genau vorstellen, den ihr mit eurer Arbeit in Gang gesetzt habt?

Better Birth Control: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung wird voraussichtlich zum Ende des Jahres eine Förderrichtlinie veröffentlichen, die Geld für Verhütungsmittelforschung bereitstellt. Und das ist eine sehr, sehr freudige Nachricht. Gleichzeitig bleiben wir kritisch, da sich mit der neuen Legislaturperiode auch alles schnell wieder ändern kann und andere Prioritäten gesetzt werden. Es ist gerade noch ein kontinuierliches Kämpfen dafür, dass das beschlossene Geld auch weiterhin bereitgestellt wird. Wir wollen uns natürlich nicht über die Summe beschweren. Gleichzeitig ist es nicht genug. Es braucht viel mehr Ambition und auch internationales Engagement, um eine ganzheitliche und globale Lösung zu finden.

canny magazine: Im Jahr 2016 entstand das Pariser Manifest des International Consortium for Male Contraception mit dem Ziel, bis 2026 mindestens ein zuverlässiges, reversibles und bezahlbares Verhütungsmittel für Männer anzubieten. Wie optimistisch bist du? 

Better Birth Control: Das wäre in anderthalb Jahren. Das glaube ich leider nicht. Wenn wir es in den nächsten zehn Jahren schaffen, dann wäre das ein Erfolg. Es braucht klinische Studien. Wer stellt das Mittel her? Wer vermarktet es? Das sind dann die Herausforderungen, die nach einer innovativen Idee gemeistert werden müssen. In der Hinsicht muss vor allem die Pharmaindustrie aktiv werden. Pharmaunternehmen müssen das Marktpotential und die Notwendigkeit erkennen. Auch Institutionen wie die WHO oder Nationalstaaten generell, auch die müssen sagen: Wir wollen bessere Verhütung, also unterstützen wir sie mit Geld, aber auch mit unserem politischen Einfluss. Beispielsweise, indem gewisse Projekte subventioniert werden oder Gespräche mit Akteuren der Pharmaindustrie gesucht werden.

canny magazine: Was kann man als Einzelperson schon jetzt tun, damit Verhütung gerechter wird?

Better Birth Control: Es lohnt sich immer, die Partner:innen zu fragen: Wie geht es dir mit deiner Verhütung? Wo kann ich unterstützen? Kann ich ein Rezept für dich abholen? So können vor allem Männer zeigen, dass ihnen das Thema wichtig ist, dass sie sich möglichen Herausforderungen bewusst sind. Sie können außerdem einen finanziellen Beitrag leisten. So gelangt man womöglich zu mehr Fairness in der eigenen Verhütung.

canny magazine: Nach spätestens zwei Drinks sprechen Frauen darüber, wie sie verhüten und tauschen sich über Bewährtes und Probleme aus.

Better Birth Control: Und das ist gut so. Darüber sprechen ist wichtig – auch mit männlichen Freunden und in Männerfreundschaften. Männer sollten darüber sprechen, dass sie es selbst auch blöd finden, dass sie gerade wenig zur Verhütung beitragen können. Verhütung wird leider meistens sehr binär betrachtet. Gerade queere Menschen bleiben in entsprechenden Gesprächen häufig außen vor. Eine Pille für den Mann ist keine endgültige Lösung. Wir müssen Verhütung kontinuierlich verbessern. Nur so kann Verhütung wirklich für alle besser werden.

 

Über Better Birth Control:
Der gemeinnützige Verein, von Rita Maglio und Jana Pfenning gegründet, folgte der Petition „Verhütung für alle besser machen!“ aus 2021, die über 130.000 Unterschriften sammelte. Das Better Birth Control Team besteht aus bis zu zehn Ehrenamtlichen und kämpft für gleichberechtigte Verhütung. Ihre Forderungen umfassen mehr Aufklärung und Forschung, ein breiteres Angebot an verlässlichen Verhütungsmitteln und deren Kostenübernahme. Durch ihre politische Arbeit erreichten die Gründerinnen die Festschreibung ihrer Ziele in verschiedenen Parteiprogrammen und im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung. Als Folge der Lobbyarbeit von Better Birth Control hat der Haushaltsausschuss in 2023 eine neue Förderrichtlinie zum Thema Verhütungsmittel für alle Geschlechter in Höhe von insgesamt fünf Millionen beschlossen.

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