Je älter, desto jünger: Männer und Online-Dating
Während Frauen beim Online-Dating in der Regel Partner ähnlichen Alters suchen, hoffen Männer ihre Traumfrau in deutlich jüngeren Jahrgängen anzutreffen. Liebe kennt kein Alter? Männer, die online daten schon.
Hinge, Tinder, Bumble, Grindr, Lovoo, Parship, Her – die Liste an Online-Dating-Plattformen wird länger und länger. Für manche ist Online-Dating voll panne (wofür hat man denn ebay Kleinanzeigen?), für andere ein Mittel zum Zweck, für wieder andere eine unschöne On-Off-Beziehung. Für viele ist Online-Dating aber auch eine Befreiung. Queere Menschen können sich in digitalen Safespaces die Finger wund swipen, zum Flirten muss man nicht zwei Stunden vorm Club anstehen und es ist viel entspannter, Pronomen, sexuelle Orientierung und Vorlieben in eine Bio zu schreiben, als sie beim Gegenüber zu erfragen.
Egal, wie man zu all dem steht, einen tollen Vorteil hat Online-Dating aber sicher. Beim Wischen von links nach rechts oder von rechts nach links erstellen wir fleißig eine riesige Menge an Daten, die interessante Einblick in unser Dating-Verhalten ermöglicht. Ole Liebl widmet dem Online-Dating in seinem Buch Freunde lieben ein ganzes Kapitel und hält zwei wichtige Aspekte fest, die es zu berücksichtigen gilt, bevor es an diese Daten geht. Zum einen seien die User:inner vor der Plattform-Nutzung oft angehalten, sich als Frau oder Mann zu fixieren. Studien zu Online-Dating betrachten am häufigsten heterosexuelle Frauen und Männer und deren Dating-Präferenzen. Die folgenden Beobachtungen sind also zwangsläufig sehr binär und heteronormativ. Sie werden der Diversität im Dating nicht vollständig gerecht. Außerdem hält Liebl richtigerweise fest: „Aus einer breiten Masse an verschiedenen Menschen werden Trends oder Kategorien bestimmt, keine eisern gültigen Naturgesetze über »die« Männer und »die«Frauen.“
Die Doppelmoral des Alterns
Schon 2010 gewährt die Dating Plattform OkCupid Einsicht in die Verhaltensmuster der User:innen. Mit fortschreitendem Alter präferieren Männer jüngere Frauen. Altersunterschiede in die andere Richtung – also ein Mann, der nach einer älteren Frau Ausschau hält – gibt es vergleichsweise selten. OkCupid liefert folgendes Beispiel: Ein 31-jähriger Mann interessiert sich für potenzielle Partnerinnen zwischen 22 und 35 Jahren. Neun Jahre jünger ist also okay, aber bitte höchstens vier Jahre älter. Je älter Männer werden, desto deutlicher wird diese Tendenz. Ein durchschnittlicher 42-Jähriger sucht eine Partnerin, die bis zu fünfzehn Jahre jünger ist, jedoch nicht mehr als drei Jahre älter. Hier geht es ausschließlich um eine Wunschvorstellung der Männer. Wenn es um das tatsächliche Anschreiben geht, fischen sie in noch jüngeren Jahrgängen. Laut OkCupid verwendet ein 30-jähriger Mann genauso viel Zeit darauf, online mit 18- und 19-Jährigen zu flirten wie mit Frauen in seinem Alter. Die Begehrlichkeit einer Frau erreiche bei 21 Jahren ihren Peak.
Science Advances veröffentlicht 2018 ähnliche Ergebnisse aus einer empirischen Analyse von heterosexuellen Datingmärkten in vier amerikanischen Städten. Die Begehrlichkeit ändert sich bei Männern und Frauen mit dem Alter nahezu diametral. Ältere Männer werden gefragter, während ältere Frauen unbeliebter werden. Sobald eine Frau ihr 18. Lebensjahr erreicht hat – in anderen Worten, sobald sie volljährig ist – nimmt ihre Begehrlichkeit ab. Die Begehrlichkeit von Männern nimmt erst ab 50 ab. Der von der amerikanischen Publizistin Susan Sontag etablierte Begriff für weibliche Altersdiskriminierung trifft es auch in diesem Kontext. Double standard of aging in Reinform.
Frauen schauen sich beim Online-Dating eher im eigenen Alterskreis um, laut der oben genannten Veröffentlichung von OkCupid. Sie schreiben auch eher Menschen an, die sich um ihr Alter herumbewegen. Die altersähnlichen Vorstellungen von Frauen führen dazu, dass Männer länger relevant auf dem Dating-Markt bleiben, während Frauen durch die verzerrten Alterspräferenzen der Männer ab einem gewissen Alter keine Chance mehr haben. Frauen werden mit Aufmerksamkeit zugeschüttet, wenn sie jung sind. Im Alter von 48 Jahren sind sie dann nur noch halb so begehrt wie gleichaltrige Männer. Ole Liebl benennt diese Dynamik in seinem Buch und erklärt, wieso sie sich beim Online-Daten selbstverstärkt. Männliche Aufmerksamkeit konzentriere sich beim Swipen auf eine kleine Gruppe an Frauen – nämlich junge, normschöne Frauen. Diese müssen in der Folge stark selektieren, viele Matches und Nachrichten bleiben unbeantwortet. Das hält Männer dazu an, noch mehr zu swipen, noch mehr Nachrichten zu versenden, mehr Nachrichten bleiben unbeantwortet, ein Teufelskreislauf. Wer gewinnt dabei? Leider niemand so richtig. Am wenigsten aber jene Frauen, die wegen ihres Alters kategorisch aussortiert werden.
Attraktivität hat kein Verfallsdatum
Dabei haben Frauen, die nicht als jugendlich gelten, viele Eigenschaften, die Dating erfolgreich machen können. Dem Monitor für Wohlbefinden aus 2023 des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung lässt sich entnehmen, dass die Lebenszufriedenheit von Frauen in ihren frühen 30ern am höchsten ist. Die Körperzufriedenheit nimmt im Laufe des Lebens tendenziell zu, laut einer Studie aus 2021 zum Körperbild über die Lebensspanne von Erwachsenen. Frauen im Alter von 19 bis 24 Jahren zeigten häufig Unzufriedenheit mit ihrem Körper, während Frauen über 60 Jahre eine höhere Körperzufriedenheit angaben. Einige Frauen fühlen sich nach der Menopause freier und genießen Sexualität mehr, weil Verhütung von Schwangerschaften – die überwiegend von Frauen organisiert wird – kein Thema mehr ist. So schreibt es Beate Schultz-Zehden in ihrem Artikel über Sexualität im Alter. Trotz all dem hält sich das hartnäckige Vorurteil, dass weibliche Sexualität und Attraktivität ein Verfallsdatum haben.
Um ein Aufmerksamkeitsgleichgewicht wiederherzustellen, müssten ältere Herrschaften also ihre Ideale kritisch hinterfragen. Steht Mann auf Frauen oder steht Mann auf junge Frauen? Das ist gar nicht so eindeutig, wenn einem Werbung, Medien und Mode beispielsweise andauernd etwas Gegenteiliges vermitteln. Aber es lohnt sich! Es würde die Schwere von den Schultern der Frauen nehmen, die verständlicherweise viele finanzielle und emotionale Ressourcen locker machen, um sich nicht von Jugendlichkeit zu entfernen. Die Welt von jungen Frauen würde zu einer Welt werden, die nicht an jeder Ecke, in alltäglichen Situationen, digital und analog, ungewollte männliche Aufmerksamkeit für sie bereithält. Eine Welt, in der sie in Ruhe ihre eigenen Bedürfnisse erkunden können, ohne die Körperbewertung und Sexualisierung anderer.
Schluss mit der Jugendfixierung im Dating
Die Obsession mit Jugendlichkeit, die manche Männer zu haben scheinen, schwingt zwischen besorgniserregend und komödiantisch. Der Gedanke vom 50-jährigen Zahnarzt, der in einem Moment an deinen Zähnen rumkratzt und nach Feierabend jungen Frauen schlüpfrige Nachrichten auf Tinder schickt. Oder die Vorstellung, wie ein 38-Jähriger aus dem Sportverein in der Halbzeit auf Toilette verzweifelt die Profile von gerade so volljährigen Frauen liked.
Gäbe es hier eine Kommentarspalte, würde sicherlich solch ein Kommentar darinstehen: Junge Frauen stehen dafür auf Macht und Geld und interessieren sich deswegen für ältere Männer! Ein Win-Win-Geschäft, das sicherlich hier und da genau so gelebt wird. Und klar, zum Online-Dating gehören immer mindestens zwei. Zum Chatten mit Altersunterschied gehört eben auch eine junge Frau, die ihren Altersradius dementsprechend eingestellt hat. Frauen stehen bestimmt auf Macht und Geld. Wieso auch nicht? Mein Vorschlag: Wir ermöglichen Frauen, selbst an Macht und Geld zu gelangen, ohne dass im Kleingedruckten des Deals ungewollt ein 54-Jähriger lauert.
Ja, so schöne Dinge wie Liebe und Begehren sollten nicht von irdischen Kategorien wie dem Alter abhängig sein. Aber was davon ist echt und was entspricht geschlechtsspezifischen Vorstellungen? Dating müsste kein ständiges Verlustgeschäft sein. Schluss mit der Besessenheit der jungen Frau. Zeit für Dating, Sex und Partner:innenwahl auf Augenhöhe. Niemand bleibt übrig, niemand wartet auf dem Klo der Turnhalle vergeblich auf eine Antwort, die nicht kommen wird. Es könnte doch so schön sein.