„Kiffen hatte schon vorher das Imageproblem der Verharmlosung“
Seit gut einem Monat kann in Deutschland legal Cannabis konsumiert werden. Was sich seitdem im Alltag der jungen (Nicht-)Konsumierenden verändert hat und welche Bedenken oder Hoffnungen es im Hinblick auf die Zukunft mit legalem Konsum gibt, zeigt diese Umfrage.
„Als wir in der Südstadt in Köln am ersten warmen Tag des Jahres unterwegs waren, war es wirklich wie Little Italy. Die Leute saßen draußen und man hat hier und da eben auch Gras gerochen. Wir saßen dann dort im Restaurant, haben Ginger-Ale getrunken und ab und zu einen geraucht. Das war ein gutes Gefühl, nicht mehr so dafür gejudget zu werden! Das ist für mich halt so das, was für andere das Feierabendbier ist.“ (Charlotte, lebt in Köln, 24)
Endlich legal – oder eigentlich egal?
Seit dem 01.04. ist nun offiziell der Konsum und Anbau von Cannabis teillegalisiert. So groß die Debatte und mediale Aufmerksamkeit um das Thema einst entflammte, ist sie mittlerweile auch schon wieder abgeflacht. Für einige Leute scheint es ein wichtiger Schritt zur Entstigmatisierung, andere befürchten die Verharmlosung einer Einstiegsdroge. Wiederum andere haben die Legalisierung kaum verfolgt und wirken desinteressiert.
Unwissenheit über die konkreten Maßnahmen und Regeln zeichnet sich ab. Dabei würde man denken, die jungen Leute, vor allem die sonst so progressiven Berliner:innen seien besonders euphorisch gestimmt über das neue Gesetz. Wie die Gen Z-Vertreter:innen wirklich denken, was ihre Hoffnungen und Bedenken sind, stellt diese kleine Umfrage** heraus.
Die wichtigsten Regeln
Vorab – was ist denn jetzt eigentlich erlaubt? Wer geglaubt hat, man könne von nun an sorglos überall und jederzeit ein Tütchen rauchen, der hat sich leider geschnitten. Hier kommt das Wichtigste, was ihr über legalen Konsum wissen solltet: Pro Erwachsenen sind 25 Gramm Besitz zulässig, im privaten Bereich, also bspw. in der Wohnung sogar 50 Gramm (getrocknetes) Cannabis. Geraucht werden darf NICHT in Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Kinderspielplätzen (obviously), in unmittelbarer Nähe von Minderjährigen, auch NICHT in Fußgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr oder öffentlich zugänglichen Sportstätten oder in dessen Sichtweite (ca. 100 Meter).
Viel Glück an alle Konsumierenden, ein geeignetes Plätzchen in der Berliner Innenstadt zu finden! Zu den speziellen Anbauvereinigungen und der Weitergabe von Cannabis gibt es selbstverständlich auch noch spezielle Vorschriften, aber das könnt ihr euch gerne selbst im FAQ des Bundesministeriums für Gesundheit durchlesen.
Wie denkt ihr über die Cannabis Legalisierung?
„Positiv! Der Klassiker: Warum muss ich bestraft werden, wenn ich einen Joint dabei habe, diesen rauche und im Endeffekt niemanden in meiner Nähe damit Schaden zufüge, wenn neben mir gleichzeitig jemand zwei Flaschen Korn in den Händen hält und rumbrüllt usw. Das ist natürlich irgendwie ausgelutscht, aber es beschreibt mein Gefühl zu der Sache ganz gut.“ (Tom, Berliner, 26)
„Grundsätzlich würde ich sagen, dass die gesamte Legalisierung relativ positiv abgelaufen ist, aber eher aus Imagegründen und weniger aus den eigentlichen Aspekten, die meinen Alltag und den Alltag vieler großartig verändern. Das heißt, die Leute, die vorher gekifft haben, kiffen immer noch. Und die Leute, die es vorher nicht gemacht haben, sehen sich da auch immer noch nicht, weil die Schwelle schon vorher so niedrig war, zumindest in Berlin. Kann mir aber vorstellen, dass es in anderen Bundesländern, wie bspw. Bayern, anders ist.“ (Chris, Berliner, 24*)
„Persönlich würde ich die Legalisierung als neutral einschätzen. Wenn ich mich aber entscheiden müsste, dann schon eher positiv. Mich betrifft es zwar nicht, weil ich kein Cannabis konsumiere, aber trotzdem finde ich es gut, dass es nun legal ist, sich selbst etwas anpflanzen zu können. Inwiefern die Kontrolle der Weitergabe und des Besitzes im privaten Raum umgesetzt werden soll, da gibt es noch einige Fragen bei mir, jedoch bin ich auch nicht wirklich im Thema drin.“ (Steffen, lebt in Berlin, 26)
„Ich würde schon eher sagen, dass ich sie positiv bewerten würde. A natürlich, weil die ganze Kriminalität durch den Handel dann sicher weniger wird. Aber B vor allem finde ich es Quatsch, dass Alkohol ab 16 verkauft und konsumiert werden darf und Gras die ganze Zeit eine Tabu-Sache war, denn Alkoholgift ist bekanntlich Nervengift.“ (Charlotte, lebt in Köln, 24)
„Ich habe gemischte Gefühle, für mich gibt es positive und negative Aspekte. Ein positiver Aspekt wäre für mich, dass der Kauf legal ist, dass man sich sicherer sein kann, dass es kontrolliert angebaut ist und, dass der THC-Gehalt nicht so hoch ist und nichts gestreckt wird. Also ein sicherer Konsum.“ (Shari, Berlinerin, 26)
„Eher positiv, weil ich denke, es ist eh schon sehr verbreitet und so kann man vielleicht besser kontrollieren, was verbreitet wird. Und gegebenenfalls irgendwelche Mischungen/Streckungen eher vermeiden. Vielleicht bauen die Leute dann auch eher an, anstatt auf dem Schwarzmarkt zu kaufen, weil sie sich dann sicher sein können, wo es herkommt und was drin ist.“ (Anna, lebt in Würzburg, 21*)
Berlin, das neue Amsterdam?
„Dann wäre natürlich auch Tourismus ein Punkt, wie in Amsterdam. Berlin ist ja besonders für das Nachtleben bekannt, viele sind jetzt schon von langen Clubschlangen genervt. Oder Anwohner:innen, die sich wegen Lautstärke usw. beschweren. Das könnte sich vielleicht verstärken.“ (Marie, Berlinerin, 25)
„Zudem zieht es ja dann auch noch mehr Touristen an. Also da bin ich mal gespannt, wie dann so ein Wochenende in Zukunft in Berlin aussieht.“ (Shari, Berlinerin, 26)
Jede Person, die bereits in Amsterdam war, hat die vollen Straßen und Coffeeshops erlebt. Und jede Person, die in Berlin lebt, hat sich schon mindestens einmal über volle Öffis, Einlasstops im Club oder rappelvolle Bars aufgeregt. Wird Berlin bald noch mehr Tourismus anziehen als Partystadt, nun auch mit legalem Cannabis-Konsum?
„Man riecht es halt…“
„Man riecht es halt natürlich, wenn es geraucht wird. Für einige ist das dann ein blöder Nebeneffekt. Solange es keine Überhand nimmt, ist es mir egal. Bisher ist mir aber noch nicht aufgefallen, dass übermäßig viel geraucht wird auf den Straßen.“ (Steffen, lebt in Berlin, 26)
„Ich hoffe, dass da, wo jetzt überall konsumiert wird, trotzdem Rücksicht genommen wird. Manche Leute können den Geruch eben nicht ausstehen, oder denen wird übel, weil sie schlechte Erfahrungen damit gemacht haben.“ (Shari, Berlinerin, 26)
Nicht jede:r genießt den Geruch von Cannabis-Rauch. Die Sorge darum, dass sich nicht an die Vorschriften gehalten und weniger Rücksicht beim Konsum genommen wird, ist nachvollziehbar. Schon bald steht der Sommer vor der Tür, der Alltag verlagert sich nach draußen in die Parks, Biergärten und Restaurants. Ob uns tatsächlich eine olfaktorische Veränderung auf den Straßen bevorsteht, wird sich zeigen.
Verharmlosung vs. Entstigmatisierung
„Ich kann mir schon vorstellen, dass die Legalisierung zu einer Veränderung der Wahrnehmung der Droge führen kann, weil ich persönlich auch eine starke Regelbefolgerin bin. Und ich glaube, dass für manche dann die Legalisierung auch bedeutet: ,Hey, so schlimm kann das ja dann nicht sein.’ Auch wenn das erstmal ein sehr simpler Gedanke ist.“ (Anna, lebt in Würzburg, 21*)
„Die Wahrnehmung hat sich schon verändert. Das merke ich auch schon zuhause bei meinem Vater, der jetzt sagt: ‚Ja, ich bau mir was an!‘ Gar keine Ahnung aber davon hat, wie man das anbaut oder raucht.“ (Steffen, lebt in Berlin, 26)
„Ich glaube aber, dass Kiffen schon vorher das Imageproblem der Verharmlosung hatte. Man denkt an lockere, chillige Kiffer, mal kurz abschalten, dann ist alles gut. Deswegen finde ich es sehr wichtig, dass gleichzeitig eine breite Aufklärungskampagne gemacht wird. Ich glaube daher nicht, dass es zu einer Verharmlosung kommt, sondern eher zu einer Entstigmatisierung. Dass es nicht totgeschwiegen und einfach verboten wird, sondern sich damit auseinandergesetzt und darüber gesprochen wird. Die Leute können Erfahrungen teilen, auch wenn’s nicht so gute waren. Das Interesse der breiten Öffentlichkeit nimmt zu, das kann ich mir vorstellen, dass sich dadurch ein realitätsnäheres Bild vom Kiffen etabliert, statt halt nur darüber zu schweigen.“ (Marie, Berlinerin, 25)
„Ich finde, wir sollten uns mit Cannabis auseinandersetzen, nur so können wir auch vernünftig über die Risiken sprechen.“ (Tom, Berliner, 26)
„Grundsätzlich finde ich es einfach gut, dass die Leute, die ab und an mal kiffen und ihr Leben trotzdem unter Kontrolle haben, jetzt die Möglichkeit haben, einen durchzuziehen, ohne sich darüber Sorgen zu machen, dass es Stress gibt.“ (Chris, Berliner, 24*)
Hoffnungen und Bedenken
In den Antworten zu den Hoffnungen und Erwartungen bezüglich der Legalisierung wird vor allem die Vorstellung eines sicheren Konsums durch kontrollierten Anbau und geregeltem THC-Gehalt deutlich.
„Meine Hoffnung dahingehend wäre einfach, dass zukünftig weniger Streckmittel enthalten sind, bzw. ein weniger schädliches Verhältnis von THC und CBD, was für die Psyche ja besonders schädigend ist (der hohe THC-Gehalt). Auch, dass der Schwarzmarkt dann vielleicht besser reguliert werden könnte.“ (Marie, Berlinerin, 25)
Darüber hinaus existiert ein Bewusstsein für die möglichen negativen Auswirkungen. Denn auch ein angemessener THC-Gehalt und die Vermeidung von Streckmitteln gewährleisten keinen garantierten Schutz vor psychischen Nebenwirkungen.
„Meine Bedenken sind also, dass Leute damit noch leichtfertiger anfangen und evtl. drauf hängen bleiben und Psychosen oder so entwickeln. Ich habe das Gefühl, wir als Gen Z sind sowieso konstant reizüberflutet und sich dann einfach zu betäuben mit Gras, scheint mir für viele naheliegend, sollte aber nicht die Lösung sein. Wenn sich jetzt also in den nächsten Jahren herausstellt, dass immer mehr Menschen Psychosen oder Folgebeschwerden haben, dann haben wir uns ins Knie geschossen.“ (Charlotte, lebt in Köln, 24)
„Da mache ich mir Sorgen, ob parallel auch genügend Aufklärung geleistet wird. Denn ich glaube schon, dass durch die Legalisierung auch die Wahrnehmung von Cannabis für viele Menschen verändert wird. Also, dass es die Droge verharmlost.“ (Shari, Berlinerin, 26)
Andere wiederum vermuten wenig Veränderung, zumindest in der Hauptstadt. Kritisiert werden jedoch die auferlegten Vorschriften der Teillegalisierung.
„Um ehrlich zu sein, hatte ich da bisher keine Bedenken. Ich habe das Gefühl, dass sich gerade in Berlin erstmal nicht viel ändern wird, weil es für mich schon seit Jahren irgendwie zur Berliner Kultur gehört. Es fühlt sich nur gut an, dass es nicht mehr kriminell ist, wenn man mal eine kleine Tüte mit etwas Gras dabei hat. Ich würde aber hoffen bzw. mir wünschen, dass man das Ganze nicht wieder in Bürokratie und Regeln erstickt. Vor allem bei der Beschaffung sehe ich noch viele sehr schwammige Regeln bzw. Vorhaben. Da bin ich mir nicht ganz sicher, ob vieles nicht einfach so bleibt, wie es ist. Ich kann mir das mit den Social Clubs noch nicht ganz vorstellen, da wäre mir ein Coffeeshop vielleicht lieber gewesen, aber lassen wir das erstmal auf uns zukommen.“ (Tom, Berliner, 26)
„Ich persönlich denke, es wird sich nicht so viel in Berlin bzw. generell in Großstädten ändern. Jeder, der es machen wollte, hat es ohnehin schon gemacht.“ (Steffen, lebt in Berlin, 26)
Aufklärung, Rücksicht und weniger Vorurteile
Konsument:in oder nicht, umfängliche Aufklärung, rücksichtsvoller Konsum und das Ablegen der Vorurteile gegenüber derer, die am Wochenende lieber zum Joint als zur Flasche greifen, sind Erwartungen, die Gen Zs an die Legalisierung stellen. Bislang hat sich in der Hauptstadt scheinbar nicht allzu viel verändert – was vermutlich eher daran liegt, dass hier schon vorher halbwegs sorglos konsumiert wurde.
Dennoch herrscht zumindest teilweise Euphorie. Der Tagesspiegel zeigt Videos von Gruppen an der Warschauer Straße, die um 0:00 am 01.04. feierlich ihre Joints zünden. Man sieht Instagram-Stories, wo auf großen Veranstaltungen am 20.04. um 16:20 Uhr gejubelt und gekifft wird – es gibt also doch viele, die sich über die neugewonnene (offizielle) Freiheit freuen.
*Name und Alter von der Redaktion geändert.
**Disclaimer: Die hier zitierten Aussagen sollen exemplarisch eine Auswahl an Meinungen bieten. Sie bilden keine repräsentative Befragung ab und können nicht verallgemeinert werden.